Von der Frauenförderung zum Gleichstellungs-Controlling
Ein geschichtlicher Rückblick von Claudine Traber, Schweizer Syndikat Medienschaffender SSM, Mit-Initiantin des Projekts Gleichstellungs-Controlling
Das Konzept des Gleichstellungs-Controllings wurde federführend von den beiden Schweizer Gewerkschaften vpod (Verband Personal der öffentlichen Dienste) und SSM (Schweizer Syndikat Medienschaffender) entwickelt. Bis dahin wurde viele Jahre mit unterschiedlichen Konzepten und Strategien, Engagement und gutem Willen versucht, die Gleichstellung in Unternehmen, Organisationen oder öffentlichen Verwaltungen zu verwirklichen. Einiges wurde erreicht, aber die Erkenntnis wuchs, dass die Erfolge der Gleichstellungsbeauftragten trotz grossem Engagement und interessanter Projekte bescheiden, punktuell und stark konjunkturabhängig blieben.
Praxisorientiert und nachhaltig
Aus dieser Perspektive stellten sich die beiden Gewerkschaften die Frage nach einem praxisorientierten Gleichstellungsinstrument, das die Anliegen der Chancengleichheit langfristig, nachhaltig und umfassend in Unternehmen sicherstellen soll. Inspiriert wurden die beiden Gleichstellungsbeauftragten Claudine Traber (SSM) und Natalie Imboden (vpod) von der Strategie des Gender Mainstreamings, das 1995 an der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking verabschiedet und innerhalb der Gewerkschaften kontrovers diskutiert wurde. Gender Mainstreaming geht von der Erkenntnis aus, dass eine tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann nur dann erreicht werden kann, wenn die Geschlechterperspektive bei allen Entscheidungen – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – berücksichtigt wird. Diese schöne Idee wurde aber oft als unverbindliches Schlagwort ohne konkrete Auswirkungen missbraucht. Im schlimmsten Fall wurden sogar Gleichstellungsstrukturen (Gleichstellungsgremien und -stellen) abgeschafft mit dem Hinweis, man setze die Gleichstellung jetzt ja flächendeckend um. Im Gegensatz dazu wollten SSM und vpod die Idee des Gender Mainstreaming konkret in den betrieblichen Alltag implementieren.
Das neue Instrument wird entwickelt
Schon vor Projektbeginn im Jahr 2000 hatte Gudrun Sander, Ökonomin und Dozentin an der Universität St. Gallen, das Konzept eines Gleichstellungs-Controllings in Artikeln und Tagungen vorgestellt. Ihre Arbeit bildete die Basis für die Eingabe von SSM und vpod ans Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, die konkrete Entwicklung des Gleichstellungs-Controllings (GSC) in Unternehmen und Verwaltungen finanziell zu ermöglichen. Die Eingabe wurde bewilligt und bis heute wird die Umsetzung des GSC mit diesen Bundessubventionen unterstützt.
An die finanzielle Unterstützung war die Bedingung geknüpft, dass das Instrument konkret in Unternehmen und Verwaltungen erprobt würde. Zum GSC-Team stiess neben Gudrun Sander die Organisationspsychologin Catherine Müller, die grosse Erfahrungen im Coaching von Gleichstellungs-Projekten vorweisen konnte und die Projektleitung übernahm.
Es brauchte viel Überzeugungskraft, um Pilotbetriebe für die Erprobung und Entwicklung des Gleichstellungs-Controllings zu gewinnen. Es gelang aber bei den Vertragspartnern von SSM und vpod (elektronische Medien und öffentliche Verwaltungen) sieben Betriebe zu finden. Während drei Jahren wurde das GSC in folgenden Betrieben praxisfokussiert getestet: Erziehungsdirektion des Kantons Bern, Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT, Staatssekretariat für Wirtschaft seco, Gemeinde Köniz, Schweizer Radio DRS, swissinfo Schweizer Radio International und Idée Suisse Media Services.
In dieser Phase wurden konkrete Zielsetzungen für die jeweilige Pilotorganisation erarbeitet, überprüft und angepasst. In Workshops und Einzelcoachings wurden die Projektleiter-Innen und Führungskräfte der Betriebe geschult, Massnahmen für die Zielerreichung diskutiert und das GSC laufend weiter entwickelt und ausgebaut.
Die Resultate bestätigen das Gleichstellungs-Controlling
Das neue Gleichstellungsinstrument bewährte sich in der Praxis, das zeigte die umfassende Evaluation im Jahr 2004 und die konkreten Resultate in den Pilotbetrieben. Unter anderem wurde die Chancengleichheit zu einer Führungsaufgabe und erscheint im Zielvereinbarungs-Prozess der Betriebe. Das Gleichstellungs-Controlling wurde zu einem Teil des Personalcontrollings, bei den Führungsverantwortlichen und den Personalfachleuten stieg die Sensibilität für Gleichstellungsfragen und das Engagement für die Erreichung der Gleichstellungsziele. Die Gleichstellung wurde so zur selbstverständlichen Führungsaufgabe. Die meisten Pilotbetriebe konnten ihre Ziele erreichen oder teilweise sogar übertreffen.
Den Abschluss des vierjährigen Projekts im November 2004 bildete das Erscheinen des Buches «Gleichstellungs-Controlling, das Handbuch für die Arbeitswelt mit CD-ROM» (verfasst von G. Sander und C. Müller und herausgegeben von SSM und vpod) sowie eine Tagung mit anschliessendem Seminar am 4./ 5. November 2004 in Bern, an der über 70 Personen aus der ganzen Schweiz und aus Deutschland teilnahmen.
In der Folge ermunterte das Eidgenössische Büro für Gleichstellung EBG das GSC-Team dazu, das Projekt weiter zu führen und ein Transferprojekt mit neuen Organisationen zu planen. Nachdem die meisten bisherigen Pilote und einige neue Organisationen Interesse zeigten, bei einem Transfer mitzuwirken, reichten die beiden Frauensekretärinnen des vpod (seit 2002 im Team für den vpod Christine Flitner) und SSM deshalb Ende April 2005 einen neuen Projektantrag ein.
Der Transfer beginnt erfolgreich
Diese Transferphase mit neuen Zielen dauerte bis Ende 2007. Es wurden neue Organisationen für die Einführung des GSC gewonnen, bei den bisherigen Organisationen wurde das GSC nachhaltig verankert. Mit gezielten PR- und Marketingmassnahmen sollte das Instrument zudem bekannt gemacht und in die Romandie transferiert werden. Wichtig war ein weiteres Ziel, die Ausbildung von MultiplikatorInnen zur Weiterverbreitung des Know-hows im Bereich GSC. Es konnten fünf Personen (drei Frauen und zwei Männer) gewonnen werden, welche über das notwendige Genderwissen, Beratungserfahrung und die Möglichkeit verfügten, das GSC in der eigenen beruflichen Tätigkeit umzusetzen.
Die meisten Projektziele wurden erfolgreich umgesetzt, es konnten sechs neue Organisationen gewonnen werden (Kanton Baselland, Erziehungs-, Kultur- und Umweltdepartement EKUD Kanton Graubünden, Umwelt- und Gesundheitsamt Stadt Zürich, Stadt Winterthur, swisscom-IT-services, SP Schweiz). Vier bisherige Pilote machen weiter (Radio DRS, swissinfo, ERZ Kanton Bern und BBT).
In Lausanne wurde an einem eintägigen Seminar das GSC vorgestellt, ca. 30 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil. Allerdings konnte bisher keine Trägerschaft für die Entwicklung des GSC in der französischen Schweiz gefunden werden. Immerhin wurde mit Hilfe des GSC im Radio Suisse Romande die Gleichstellung zielgerichtet ausgebaut und überprüft.
Die Bilanz dieser Phase zeigte, dass das GSC bekannt gemacht werden konnte, weiter verbreitet und mit Hilfe der MulitplikatorInnen in weitere Bereiche und Organisationen integriert werden konnte.
Die Gewerkschaften übergeben das Projekt an den Verein Gleichstellungs-Controlling
Mit Abschluss der Entwicklungs- und Erprobungsphase (2001 bis 2007) zogen sich die Gewerkschaften aus der Trägerschaft des Projekts zurück. «Wir haben den Anstoss für die Entwicklung gegeben und gezeigt, dass dieses Instrument funktioniert. Jetzt sind die Arbeitgeber an der Reihe. Wenn es ihnen ernst ist mit der Gleichstellung, müssen sie nur zugreifen bzw. umsetzen», begründeten Claudine Traber vom SSM und Christine Flitner vom vpod den Rückzug.
Die weitere Entwicklung und Förderung des Gleichstellungs-Controllings wird in Zukunft von einem Verein getragen, der im Frühling 2007 gegründet wurde. Im Vorstand des Vereins «Gleichstellungs-Controlling» wirken weiterhin die Entwicklerinnen des Konzeptes Gudrun Sander und Catherine Müller mit, weitere GleichstellungsexpertInnen ergänzen das Gremium. Die Mitgliedschaft steht allen offen, die an der weiteren Verbreitung des Konzepts interessiert sind.
In der externen Schlussevaluation 2007 wird ein positives Fazit gezogen: «Das Gleichstellungs-Controlling ist ein ausserordentlich vielfältiges, komplexes und erfolgreiches Projekt, das von den Verantwortlichen mit grosser Kompetenz, mit hoher Qualität und viel Engagement geführt wurde. Mit dem GSC ist ein Instrumentarium entwickelt worden, das für Betriebe und Verwaltungen attraktiv ist und sie bei der Einführung und Umsetzung von Gleichstellungsmassnahmen wirksam unterstützt.»
CT, 10.2008